Wahres Selbstbewusstsein kommt von innen. Darüber sind sich die meisten einig. Doch dieser Idealfall erweist sich bei genauer Betrachtung als äußerst vertrackt. Denn kaum ein Mensch wird ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln, wenn er von außen weder Erfolg noch Anerkennung noch Wertschätzung erfährt. So kommt es, dass wohl die wenigsten Menschen ihre Kraft und ihr Glück ausschließlich aus sich selbst beziehen.
Von mangelndem Selbstbewusstsein oder geringem Selbstwertgefühl spricht man erst, wenn eine Person ihre Schwächen deutlich stärker wahrnimmt als ihre Stärken. Das Selbstbild ist damit einseitig negativ verzerrt.
Nicht immer sind solche Minderwertigkeitskomplexe für andere leicht zu erkennen – etwa durch schüchternes, in sich gekehrtes Verhalten. Viele Betroffene versuchen vielmehr, ihre Unsicherheit zu überspielen oder zu kompensieren. Gleichwohl gibt es einige Indizien, die darauf hindeuten, dass es jemandem schwerfällt, sich selbst anzunehmen und zu lieben:
1.) Körpersprache
Hängende Schultern, die Hände in den Taschen und ein ausweichender Blick – so stellt man sich im Allgemeinen einen unsicheren Menschen vor. Aber auch das Umgekehrte kann ein Symptom geringen Selbstwertgefühls sein: Drängt sich jemand penetrant in den Vordergrund und sucht nach jedem Witz verzweifelt den Augenkontakt seines Gegenübers zu erhaschen, ist er von der Aufmerksamkeit anderer abhängig.
2.) Sich einseitig über Äußerlichkeiten definieren
Auf die Frage „Woraus ziehen Sie Ihre Selbstsicherheit?“ antworten – laut Statista – 70 % der Frauen mit „Beliebtheit und Aussehen“. Männer geben zu 80 % „beruflichen Erfolg und Einkommen“ an. Es ist also völlig normal, sein Selbstbild an Äußerlichkeiten auszurichten.
Bei Menschen, die ihren Minderwertigkeitskomplex kompensieren wollen, ist dies jedoch besonders einseitig ausgeprägt: Sie binden ihr gesamtes Glück und Unglück an eine einzige Sache, Tätigkeit oder vermeintliche Stärke. Auf andere wirken sie daher mitunter krampfhaft eitel oder narzisstisch.
3.) Arroganz
Wer sich selbst nicht liebt, dem fällt es auch schwer, andere wertzuschätzen. Menschen mit geringem Selbstbewusstsein fallen daher nicht selten durch ein arrogantes Verhalten auf. Sie sind besserwisserisch. Abweichende Meinungen empfinden sie als persönlichen Angriff. Haben andere Menschen Erfolg, erfüllt sie das mit Neid und Missgunst. Schwächere werden ausgelacht.
4.) Schuldzuweisungen
Jeder Mensch ist mit einem intuitiven Selbstschutz ausgestattet. Hat man etwas falsch gemacht, startet bei selbstbewussten Menschen automatisch das Programm: „Wird schon nicht so schlimm sein. Ich biege das wieder gerade.“
Bei Menschen mit geringem Selbstbewusstsein gibt es zwei Typen. Die einen verfallen nach Fehlern in Selbstvorwürfe und Scham – sie würden am liebsten verschwinden. Die anderen blocken die Schuld schlicht und einfach ab: „Ich war es nicht. Die anderen haben es verbockt!“
5.) „Aufschieberitis“
Ein Phänomen, das sich bei Menschen mit geringem Selbstbewusstsein immer wieder feststellen lässt: Sie schieben Entscheidungen auf oder versuchen, Aufgaben auf andere abzuwälzen. Durch ihre innere Unsicherheit fühlen sie sich schnell überfordert. Oft gelingt es ihnen nur, ihre Kraft auf einen Bereich – zum Beispiel die Karriere oder das Aussehen – zu konzentrieren, während ganz banale Alltagspflichten vernachlässigt werden.
6.) Beziehungsphobie
Minderwertigkeitskomplexe machen auch das Beziehungsleben schwierig. Bei einigen Betroffenen kann das mangelnde Selbstwertgefühl sogar zu einer regelrechten Bindungsangst führen. Sie trauen sich nicht, sich einem anderen Menschen gegenüber zu öffnen oder sich zu verlieben. Gerade bei Menschen, die häufig ihre Partner wechseln und Beziehungen unvermittelt abbrechen, verbirgt sich nicht selten ein negatives Selbstbild.
Mangelndes Selbstbewusstsein kann sich auf viele verschiedene Weisen äußern. Nicht immer ist es die „graue Maus“, die mit innerlichen Unsicherheiten zu kämpfen hat. Im Gegenteil: Wer seinen Selbstwert krampfhaft und ausschließlich aus der Anerkennung seines sozialen Umfelds zieht, immer im Mittelpunkt stehen muss und gleichzeitig Angst hat, sein wahres Ich zu zeigen, der droht sich und anderen mit seinem Minderwertigkeitsgefühl im Weg zu stehen.
Ein gesundes Selbstvertrauen und ein positives Selbstbild lassen sich nicht aus dem Nichts zaubern. Wenn man sich seine innere Unsicherheit eingesteht, kann man jedoch an sich arbeiten oder professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Denn jeder Mensch hat viele Seiten an sich, die es anzunehmen und zu lieben lohnt.
Quellen: arbeits-abc, angst-verstehen
Vorschaubilder: ©Flickr/Send me adrift. ©Flickr/Jessica Suárez