Ärzte, Therapeuten und Ernährungsberater sind dazu da, ihren Patienten während deren Heilungsprozesses mit Rat und Informationen beizustehen. Um Beschwerden bestmöglich lindern zu können, wird man beim Arztbesuch über die verschiedenen Angewohnheiten in seinem Leben befragt. Da man ja so schnell wie möglich wieder gesund werden möchte, würde bei diesen Befragungen sicherlich niemand lügen. Oder etwa doch?
Im Rahmen einer US-amerikanischen Studie wurden 1.200 Menschen zu ihrem Verhalten im ärztlichen Behandlungszimmer befragt – die Ergebnisse waren teilweise erschreckend. Vor allem in Bezug auf drei bestimmte Themen greifen Patienten regelmäßig zur Lüge. Aber auch Mediziner nehmen es besonders bei zwei Themen mit der Wahrheit nicht so genau.
Rund 47 Prozent der Befragten gaben an, dass sie ihren Arzt „manchmal“ oder „oft“ anlügen würden. Nur einer von vier Patienten habe laut der Studie den Mediziner noch nie belogen. Dr. Isabel Valdez vom medizinischen Institut des Baylor College in Waco (Texas, USA) zeigte sich von dem Ergebnis nur teilweise überrascht: „Das heißt also, dass fast zehn meiner etwa 20 Patienten am Tag mir nicht die Wahrheit sagen. Das klingt authentisch.“
Die Lügen der Patienten kommen in allen Formen und Größen daher: von kleinen Notlügen über das Dehnen der Wahrheit bis zu einer ganzen Lügengeschichte. Vor allem wenn sie danach befragt würden, ob sie ärztlichen Anweisungen nachgekommen seien, würden viele Menschen flunkern. Schließlich gaben 39 Prozent der Studienteilnehmer an, besondere Ernährungsweisen oder ein Rauchverbot nicht immer gänzlich oder gar nicht zu befolgen.
Auf Platz 2 der Flunkereien steht die Auskunft der Patienten über ihr Sexualleben. Dieses Thema ist 32 Prozent der Befragten zu sensibel, sodass sie eine Geschichte erfinden oder nur ausweichend antworten. Aber auch der Konsum von (gefährlichen) Genussmitteln wie Alkohol (24 %), Tabakwaren (23 %) oder Partydrogen werde laut den Studienergebnissen verharmlost oder verschwiegen.
Neben dem Verheimlichen von Drogenmissbrauch ist es vor allem Verlegenheit, die die Patienten zum Lügen bewegt. „Es ist ziemlich verbreitet, dass Informationen zurückgehalten werden, wenn sie unter die Kategorie ’sozial vorgefasste Tabus‘ fallen. Das können zum Beispiel die sexuelle Aktivität, der soziale Stand oder die Ernährung sein“, erklärt Dr. Nina Lum die Studienergebnisse. Ihre Kollegin Dr. Marcíela Moffitt führt weiter aus: „Schließlich möchte niemand in einem schlechten Licht dastehen oder verurteilt werden.“
Auch das Geschlecht des Arztes scheint eine Rolle bei der Ehrlichkeit der Patienten zu spielen. So sind nur 16 Prozent der Frauen laut eigener Aussage zu einem männlichen Mediziner ehrlich. Männer scheinen mit weiblichen Ärzten weniger Probleme zu haben, da 30 Prozent angaben, ihrer Ärztin ehrliche Auskünfte zu geben.
Neben der partiellen Unehrlichkeit der Patienten fand eine weitere Studie, die den Wahrheitsgehalt ärztlicher Aussagen untersuchte, heraus, dass auch aufseiten der Mediziner geflunkert wird. Von 1.900 befragten Medizinern gab ein Drittel an, dass sie ernsthafte Bedenken nicht mit einem Patienten teilten, um diesen nicht zu beunruhigen. 55 Prozent gaben sogar an, dass sie die Gesundheit des Patienten besser darstellten, als sie sei. Weiterhin gab fast die Hälfte der Befragten (40 %) an, ihre Patienten mit Absicht nicht über Verträge mit pharmazeutischen Firmen aufzuklären.
Der Grund für die Lügen der Mediziner sei häufig der Wunsch nach dem Vermeiden einer unangenehmen Situation. Schlechte Nachrichten überbringe eben niemand gern, erklärt Dr. Moffitt, betont dabei jedoch, dass es wichtig sei, als Mediziner mit den Patienten ehrlich zu sein. Schließlich sei ein gutes Vertrauensverhältnis auch wichtig für den Heilungsprozess des Erkrankten.
Es ist schon verblüffend, wie oft im Sprechzimmer auf beiden Seiten gelogen wird. Dabei gilt der Berufsstand des Arztes gesellschaftlich als einer der vertrauensvollsten, stehen Mediziner schließlich unter der Schweigepflicht. Schlechte Nachrichten zu überbringen oder Laster zuzugeben, ist sicherlich kein angenehmes Unterfangen, jedoch sollte eigentlich der Preis, dafür seine eigene oder die Gesundheit des Patienten zu gefährden, zu hoch sein.